Bei einem psychologischen Berufsfindungstest, den ich neulich mal im Netz mitgemacht habe, ist herausgekommen, dass ich entweder Autoverkäufer oder aber Geisteswissenschaftler werden solle. Ein guter Test, denn er beweist, dass aus mir doch noch etwas Anständiges werden kann. Bevor ich allerdings meine Bewerbungen an die umliegenden Autohäuser losschicke, sollte ich schon wissen, wie man das am besten macht.

Nicht alle Schülerinnen nehmen das Training offenbar so ernst wie Peter.

Nicht alle Schülerinnen nehmen das Training offenbar so ernst wie Peter.

Das Jump!-Training ist da genau das Richtige, schließlich erreicht das von der Bundesarbeitsagentur und der Braunschweigischen Landessparkasse gesponserte Berufsvorbereitungsprogramm Jugendliche aus halb Niedersachsen. Und das durchaus mit Erfolg. Denn bei Jump! werden die Schüler in enger Zusammenarbeit mit den weiterführenden Schulen für das spätere Berufsleben nicht einfach nur hinsichtlich des richtigen Auftretens und der geschicktesten Selbstvermarktung fit gemacht, sondern vor allem auch darin, überhaupt zu erkennen, was sie wirklich interessiert. Denn jeder Fünfte bricht seine Ausbildung ab oder schafft den Abschluss nicht, jeder Dritte würde seine Ausbildung auf keinen Fall noch einmal wählen. Und auch an den Hochschulen sieht die Bilanz nicht besser aus. Herauszufinden, was man wirklich will und wofür man brennen könnte, ist nicht so einfach, das weiß ich aus eigener Erfahrung.

Was ich denn mal werden wolle, wandte sich ein Orthopäde, vom Röntgenbild aufschauend, Anfang der 80er Jahre ernst an mich. Die Frage zielte trotz meiner Indianerfüße – einer zum Feueraustreten, einer zum Paddeln – nicht darauf ab, mir von körperlicher Arbeit abzuraten, sondern war mehr so als jovialer Smalltalk gedacht. Nur, dass ich halt nicht die passende Antwort parat hatte. „Keine Ahnung“, murmelte ich, „vielleicht irgendwie irgendwas mit Germanistik eventuell…“.

Die Schüler von heute würden vermutlich noch vernichtendere Blicke als ich seinerzeit ernten, denn die Erwartungshaltung an eine frühzeitig effiziente Lebensplanung ist massiv gestiegen. Allerdings sind natürlich auch die Möglichkeiten, sich zu informieren, erheblich besser geworden. Im ersten Modul des Jump!-Konzeptes wird deshalb auch von einem professionellen Trainer in Zusammenarbeit mit den Lehrern der jeweiligen Schulen zunächst die gezielte Nutzung des Internets bei der Berufswahl geschult. Da habe ich ja mit dem Test schon Erfahrungen gesammelt, also doch besser das Selbstvermarktungstraining. Es gibt meiner Ansicht nach eigentlich nichts Schlimmeres, als die eigenen Fähigkeiten anpreisen zu müssen.

Sebastian Saul, gelernter Diplom-Sozialwirt und als Jump!-Trainer für eine Rotenburger Personalberatungsfirma unterwegs, hat für das Experiment die Haupt- und Realschule in Eschershausen vorgeschlagen, an Schüler und Lehrer dort habe er sehr positive Erinnerungen. Saul, der in das knapp sechsstündige Training gern zwischendurch mal zur Auflockerung ein lustiges Spontanitätsspielchen oder eine horizonterweiternde Denksportaufgabe mit einfließen lässt, ist so etwas, was man im Jugendjargon wohl als eine „coole Sau“ bezeichnen würde. Das heißt, er ist Entertainer, Pädagoge und Drill-Sergeant zugleich.

Wenn es passt, fällt er völlig albern übertrieben von seinem Stuhl, um den Kids im nächsten Moment einen bissig-ironischen Spruch um die Ohren zu hauen, wenn die Aufmerksamkeit zu stark nachlässt oder die Denkfaulheit zu offensichtlich wird. In der 9RS, in die er mich mitnimmt, verschafft er sich damit schnell Respekt. Nur wenige in der 28-köpfigen Klasse wissen wie Sharon, Malte oder Frederik ganz genau, was sie später einmal machen wollen. Das stellt sich bei der anfänglichen Vorstellungsrunde im Stuhlkreis schnell heraus. Jeder soll neben seinen Praktikumserlebnissen überdies auch noch seine Hobbies nennen. Und schon da lässt sich jede Menge lernen. Denn jemandem, dem als Freizeitbeschäftigung allenfalls „mit Freunden rausgehen“ einfällt, nimmt der potenzielle zukünftige Arbeitgeber im Bewerbungsgespräch weder ein gesteigertes Interesse für überhaupt irgendetwas ab, geschweige denn, dass er denjenigen nach mehreren Interviews überhaupt noch in Erinnerung behält. „Aha, Rausgehen“, kontert Saul darauf gleich, „und was dann hinterher? Wieder reinkommen?“

Jump!-Trainer Sebastian Saul hat die volle Aufmerksamkeit der Klasse.

Jump!-Trainer Sebastian Saul hat die volle Aufmerksamkeit der Klasse.

Keine Frage, ohne ein bisschen Minimal-Anstrengung im Kopf wird das hier genauso wenig abgehen wie im richtigen Leben. Tatsächlich haben die meisten in der Klasse sogar deutlich mehr zu bieten als Frederiks lustig-provokativ in den Raum geworfenes „Hardcore-Chillen“. Von Fußballspielen, Feuerwehr über Modellbau bis hin zu Wandern und Lesen ist da einiges dabei. Lesen? Florian und Lilli trauen sich tatsächlich, ein derart fragwürdiges Hobby anzugeben. Bevor sie aber von der auch in dieser Klasse allgegenwärtigen Geschmackspolizei höhnisch der Lächerlichkeit preisgegeben werden können, hat der Trainer schon unmissverständlich vermittelt, dass solch eine Beschäftigung nicht etwa auf ein schwerwiegendes Hirnleiden hindeutet, sondern im Bewerbungsgespräch sogar deutlich Eindruck machen kann.

Und während ich mich noch frage, ob ich in dem Alter nicht vielleicht doch lieber vor Scham tot umgefallen wäre, als jemals öffentlich zuzugeben, dass ich vor lauter verzweifelter Langeweile und fehlender Mädchenkontakte gelesen habe, ist Saul schon zum zweiten Teil übergegangen. Nicht ohne allerdings im Nebenbei auch noch darüber aufzuklären, dass auch Negativ-Erfahrungen beim Praktikum einen Positiv-Effekt für die Selbstfindung haben können, dass eine lebendige Selbstdarstellung zu einem besseren Image beiträgt und dass Gähnen, ohne die Hand vor den Mund zu halten, besonders schlecht ankommt. Dass ein nach Sauerstoff ringender, weit aufgerissener Schlund nicht unbedingt zur positiven Selbstvermarktung beiträgt, gehört zwar vermutlich eher in das zweite Jump!-Modul („1. Auftreten“), aber schlechtes Benehmen hat auch heute keine Chance. Die Hände lässig in den Taschen zu versenken, wird vom Trainer genauso rigoros geahndet wie der schlurfende Gang. Die Klasse nimmt das hin und lässt sich auch sonst von dem quicklebendigen Berufsvorbereiter einnehmen. „Der macht das toll, dem hört man zu und macht mit“, findet Malte schon nach den ersten beiden Stunden.

Der 15-Jährige aus Eimen weiß eigentlich schon genau, dass er Landwirt werden will und hat Saul mit dem einen oder anderen flapsigen Einwurf aus dem Konzept zu bringen versucht, allerdings ohne Erfolg. Denn der hat immer locker dagegengehalten und in der Folge dann die wesentlichen Inhalte einer Bewerbungsmappe erklärt, Tricks und Kniffe gezeigt sowie mithilfe verschiedener mündlicher und schriftlicher Tests die besonderen persönlichen Eigenschaften eines jeden Einzelnen ausgelotet.

Im „Los!-Stop!-Schade!“-Tempo hatte mir der Trainer schon im Vorgespräch die Frage nach meinen Stärken zugeworfen und außer einem dahingestammelten „kommunikationsfähig“ war mir nichts weiter eingefallen. Diesmal klappt die Antwort besser, denn ich hatte ja auch satte zwei Monate Zeit, mir dazu was auszudenken. Die darauffolgende nach meinen Schwächen ist dann allerdings schon wieder in zweierlei Hinsicht entlarvend. Denn erstens zeigt meine Überraschung, dass ich schon ganz schön blöd sein muss, mit so einer Anschlussfrage nicht gerechnet zu haben. Und zweitens fällt mir tatsächlich nur meine Faulheit ein. Das ist zwar ehrlich, aber ob das zum Self-Marketing beiträgt? Aber wie schon bei einem der Spiele, bei dem spontan irgendwelche zugeworfenen Wörter mit in ein Gespräch eingebaut werden müssen, ist die Authentizität wichtiger als das Gelingen: Bei dem Spiel durfte ich nervös rumtänzeln. Und auch für das Faulsein gilt, dass jede voroptimierte Selbstdarstellung nur unglaubwürdiger wirkte.

Beim anschließenden Telefontraining geht es dann darum, sich nicht abwimmeln zu lassen, den Namen richtig zu verstehen und sein persönliches Interesse klar zu signalisieren. Ein gruseliges Unterfangen, wie ich finde, denn als ebenso unsicherer wie renitenter Charakter neige ich allzu sehr dazu, mich bei entsprechendem Widerstand ebenso schnell wieder zu empfehlen und dem distanzierten-lustlosen Gegenüber zumindest lautlos die Beulenpest an den Hals zu wünschen. Aber das geht hier natürlich nicht und so rede ich so lange auf Herrn Ballerstaller alias Sebastian Saul ein, bis der mir mein Interesse abgekauft hat und mir ein unbezahltes Praktikum aus dem Kreuz geleiert hat.

Die Schüler der 9 RS müssen auch einige schriftliche Tests bewältigen.

Die Schüler der 9 RS müssen auch einige schriftliche Tests bewältigen.

Das kommt bei der anschließenden Bewertung insgesamt ganz gut weg, allerdings hätte ich noch fragen müssen, bis wann ich die schriftliche Bewerbung dann einreichen müsste. Ich selbst hätte mich allerdings nicht eingestellt, so wie ich da rumgestottert habe. Da hätte ich mich eher für den coolen Frederik entschieden, der beim abschließenden Gespräch Auge in Auge dann noch einmal zeigt, worauf Jump!-Trainer Saul eigentlich schon den ganzen Morgen am meisten Wert gelegt hat: Frederik gibt sich völlig entschlossen, den Beruf eines Tierpflegers ausüben zu wollen, weil er eben genau das auch tatsächlich will. Dementsprechend kann er auf alle fachbezogenen Fragen gut reagieren, die Ernsthaftigkeit seiner Bewerbung kommt trotz verunsichernder Zwischeneinwürfe und thematisch abseitiger Fragen absolut glaubhaft rüber. Kein Wunder, dass ihn jeder in der Klasse sofort einstellen würde. Das Jump!-Training aber, damit gehe ich jedenfalls nach Hause, hätte ich mir vor 30 Jahren auch schon gewünscht. Vielleicht würde dann jeder Zweite aus dem Landkreis ein Auto fahren, das ich ihm verkauft habe.